Bewegung im Jahr des Stillstands: Für seinen Film „So weit“ radelte Musiker Till Seifert einmal quer durch Deutschland.
Frustriert liegt Liedermacher Till Seifert auf der heimatlichen Couch: Über 60 Konzerte hatte er für 2020 geplant, die nun alle ausgefallen sind. „Ich war am tiefsten Punkt – und von da an kann es nur noch aufwärts gehen“, erzählt er bei seinem Besuch beim Nürnberger Sommernachtfilmfestival. Und tatsächlich kam ihm die rettende Idee: Eine Tour durch ganz Deutschland mit Konzerten in jedem Ort – entweder in kleinen Locations mit Hygienekonzept oder als Livestream. Und damit wirklich Bewegung in die Sache kommt findet die Tour nicht mit dem Auto statt, sondern mit seinem klapprigen Rennrad ohne Gangschaltung.
„Ich habe einfach auf der Karte eine Luftline gezogen und alle 80 Kilometer einen Ort markiert“, erinnert er sich. „Erst als ich losgefahren bin merkte ich, dass ich gar nicht Luftlinie fahren kann. Und dass es so was wie Höhenunterschiede gibt.“
Oder dass die gewählte Navi-App nur in dem Bundesland kostenlos ist, in dem sie erstmals gestartet wird. In Tills Fall war das Hamburg.
Zum Glück fuhr Freund Nick mit dem Wohnmobil hinterher, das während der knapp drei Tourwochen als Küche, Schlafstätte und Aufwärm-Station diente. Der gesponsorte Bus war übrigens die einzige finanzielle Unterstützung des Projekts.
An einen Film war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gedacht: „Wir wollten lediglich ein paar Konzerte für ein Musikvideo mitschneiden und ein paar kurze Schnipsel für die sozialen Medien. Doch als die Tour vorbei war fragte mich der Nordpolaris Verleih, ob ich das Ergebnis nicht ins Kino bringen wollte“. Also wurde in Windeseile aus Instagram-Stories, Sprachnachrichten, wackeligen Go-Pro-Videos, statischen Konzert-Aufnahmen und vereinzelten Drohnen-Bildern der Film ‚So weit‘ geschnitten.
Das Ergebnis sieht aus wie die gefürchteten Urlaubs-Dia-Abende der 70er: Till am Hamburger Hafen. Till auf der Zugspitze. Till im Marienbergpark.
Klar gibt’s lustige Momente: Etwa wenn Till ‚Badersee‘ mit ‚Badesee‘ verwechselt oder wenn ein Bamberger Taxifahrer das Team in die völlig falsche Richtung kutschiert. Das wird dann in richtig guten Animationen des Braunschweiger Illustrators Jacob Müller gezeigt. Aber meist sieht man nur Landstraße. Die tollen Begegnungen mit den interessanten Menschen werden nur behauptet. Um die Städte wird ein Bogen gemacht, da die Zeit drängt.
Sehr schade, weil die Grundidee wirklich gut ist. Aber ein Kinofilm funktioniert dann eben doch nach anderen Regeln als ein Internet-Video. So wird ‚So weit‘ eher zur unfreiwilligen Parodie auf die ‚Generation Selfie‘, die während einer globalen Pandemie völlig losgelöst durchs Land tingelt und überall nichts anderes findet als das eigene Gesicht.
Zum Glück erscheint Till Seifert in Echt weit weniger narzisstisch als im Film – und als Songwriter hat er wirklich Talent.
Und wenn man die Entstehungsgeschichte kennt, kann der Film sogar inspirierend wirken: Als Zeichen dafür, das Spontanität und Enthusiasmus manchmal wichtiger sind als Fachkenntnis und Planung.
WERTUNG: 4