Kino: „Courage“

Eine Revolution braucht Geduld: Regisseur Aliaksei Paluyan stellte seinen Film „Courage“ über den Widerstand der Bevölkerung gegen den Diktator Lukaschenko im Cinecitta vor.

„Etwas liegt in der Luft – das habe ich Anfang letzten Jahres gespührt“, erzählt Aliaksei Paluyan. „Es war die richtige Zeit, um nach Hause zu fahren.“

Seit 2012 lebt Paluyan in Deutschland. An der Kunsthochschule in Kassel studierte er Film und Fernsehregie. Aber seine Heimat ist Belarus („Weißrussland“), jenes Land, das seit 1994 von Präsident Alexander Lukaschenko regiert wird.

Anfang 2020 sah es so aus, als ob die Präsidentschaftswahlen im August endlich den Abschied von diesem Politiker bringen würden, den viele als „letzten Diktator Europas“ ansehen. Also fuhr Paluyan zusammen mit Kamerafrau Tanya Haurylchyk nach Minsk, um die Ereignisse zu dokumentieren.

Als Bezugspersonen dienen ihm dabei drei Schauspielerinnen vom „Freien Theater Minsk“ – einer unabhängigen Theatergruppe, die seit 15 Jahren politisch-kritische Stücke auf die Bühne bringt. Zumindest soweit das in Belarus möglich ist: „Meine letzte Arbeit wurde nur acht mal aufgeführt und dann als satanistisch verboten“, erzählt ein Schauspieler. „Acht mal ist besser als kein mal – die Saat wurde ausgebracht“, antwortet ein anderer.

Geduld und die Politik der ganz kleinen Schritte – das ist es worauf die Menschen in Belarus setzen. Für die Wahl im August bereiten sie sich besonders vor: Die einen fotografieren ihre Stimmzettel ab, damit sie bei einem Wahlbetrug belegen können, zahlreich gegen Lukaschenko gestimmt zu haben. Andere sammeln Klopapier, für den Fall verhaftet zu werden: „Bitte geht abwechselnd demonstrieren“, rät der Regisseur der Theatergruppe: „Nur wenn nicht mehr als die Hälfte von euch eingesperrt sind können wir spielen.“

Und dann kommt jener kurze Moment, in dem die Träume der Menschen Wirklichkeit zu werden beginnen: Lukaschenko verliert die Wahl, die Menschen tanzen auf den Straßen. Ein Feuerwerk wird gezündet. Aber es ist kein Feuerwerk. Es sind die Blendgranaten des Militärs. Der Diktator bleibt und die Menschen rennen.

Ein paar Tage lang ist nicht klar, was nun folgt: Stilles Ducken? Demonstrationen? Bürgerkrieg? Statt Texten wird im Theater jetzt Armbrustschießen geübt.

Aliaksei Paluyans Film beobachtet das alles möglichst ruhig. Statt Bildern blutiger Kämpfe, die es durchaus auch gab, zeigt er leise Szenen: Wie Namen von vermissten Personen verlesen werden. Wie Menschen schweigend protestieren. „Ich fand das stärker und auch trauriger“, meint er. „Als Filmemacher bin ich kein Reporter, der alle Fakten sammeln und sortieren muss, sondern ein Künstler, der vor allem eine Stimmung einfangen will.“

Ab und zu zeigt sein Film auch die andere Seite: Junger Sicherheitskräfte, die als lebendes Sperrgitter zwischen den protestierenden Menschen und dem Präsidentenpalast stehen: „In allen von uns ist in diesen Tagen etwas zerbrochen – und bei diesen jungen Menschen von der Polizei, die etwas tun müssen, was sie zum Teil selbst nicht für richtig halten, noch mehr als bei den anderen.“

In Nürnberg sind viele Landsleute von Paluyan ins Kino gekommen. Zum Teil gehüllt in die Flagge von Belarus, zum Teil mit Fotos der über 400 Menschen, die aktuell noch eingesperrt oder vermisst sind. Vor der Vorstellung halten sie sie hoch. Stumm und lange: „Dies ist eine Revolution der Geduld“, meint Paluyan. „Aber ich habe gute Hoffnung, denn dieser August hat das Denken der Menschen verändert – und da gibt es kein zurück mehr.“

WERTUNG: 2

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